Neulich war ich mit einem weitgereisten Kollegen essen. „Ich würde gerne nach Usbekistan“, sagte er und biss in sein Ciabatta-Irgendwas mit heraushängenden Raukeblättern, die in Düsseldorf natürlich Ruccola heißen und an Balsamicoreduktion daherkommen. „Ach“, sagte ich und überlegte kurz, wo genau Usbekistan einzuordnen ist. Im Osten, klar. Und nicht am Meer, was es potenziell zu einem weißen Fleck auf meiner ganz persönlichen Weltkarte macht. Aber damit war es da, dieses Land, dessen Namen ich höchstens mit Kargheit und Kälte in Verbindung bringe, vielleicht noch mit Fellmützen und roten Nasen; und abends beim Kochen – Gemüsegedöns – blickte ich auf die Rubbel-Weltkarte (die Autokorrektur machte an dieser Stelle hübscherweise „Rubel-Weltkarte“ daraus), die in der Küche als Spritzschutz hinter dem Ceranfeld platziert ist, und starrte Usbekistan an. Es ist selbstredend unverrubbelt und damit eine nichtssagende güldene Fläche; der Schriftzug ist ein wenig ungenau gedruckt, zu viel Farbe floss aufs „B“ und setzte Unschärfe.
Usbekistan liegt im Nichts, kein Meer in Sicht, nicht mal ein Flüsschen, aber ein solches würde womöglich mit Rubbelaktivitäten als zarte Linie erscheinen. Usbekistan also. Es ist nicht so, dass ich in nächster Zeit vorhabe, in diese Richtung zu reisen. Die Weite des Erdbereichs rund um den russischen Raum schüchtert mich ein ob ihrer schieren Größe. Allein Russland akkurat freizurubbeln, würde Tage dauern. Wie soll man dann ein solches Gebiet reisend so erkunden, dass man guten Gewissens sagen kann: „Ja, da war ich, kenne ich.“ Ich finde das eher bedrohlich als herausfordernd.
Das liegt vor allem daran, dass ich dieses Reisespielchen mittlerweile durchschaut habe. Man fährt irgendwo hin, freut sich, wieder was Neues gesehen zu haben, und dann trifft man jemanden, der von seinem tollen Trip nach Patagonien erzählt oder von diesem einen ganz speziellen Café in Timbuktu und man fühlt aus tiefem Herzen diese ehrliche Reisesehnsucht und denkt: „Oh, Patagonien!“ Oder „Oh, Timbuktu!“ und hat prompt ein neues Ziel auf der Liste, das zu bereisen sich lohnt; und in den meisten Fällen – Patagonien und Timbuktu mal ausgenommen – hatte man vorher nicht einmal geahnt, dass es diese tollen Orte überhaupt gibt und lebte verdammt gut mit diesem Wissensversäumnis.
Es ist eine sisyphosische Liste: Je mehr man reist, desto länger wird sie. Je mehr man unterwegs ist, desto sicherer wird man, nie alles sehen zu werden, was doch eigentlich so sehenswert wäre.
Seit kurzem besitze ich eine dieser freirubbelbaren Weltkarten. Sie war ein Geschenk, solche Geschenke machen nur Leute, die selbst nicht reisen. Die Karte ist zwar das Statusobjekt eines jeden Backpackers (der ich nicht bin); als solches wird sie verkauft und in ganz vielen Blogs beworben.
Ich halte sie allerdings eher für eine perfide Visualisierung der eigenen Endlichkeit. Die Karte steht vorwurfsvoll in der Küche und weist schweigend auf Reiseversäumnisse hin. Das Prinzip: Was Gold ist, ist unbereist. Besuchten Ländern darf der geneigte Nutzer das matte Finish nehmen und die glänzende bunte Fläche darunter freilegen. Alles andere bleibt Gold und schreit: „Hier ist es schön. Weißte aber nicht!“ Sie ist ziemlich provokant, diese Karte; und es ist immer ein bisschen Sieg, wenn wieder Gold verschwindet. Dann schaut man nach filigranem Gerubbel auf die frisch eroberte Flächenfarbe eines entgoldeten Winzstaats und genießt den Triumph. Bis der Blick das große Ganze erfasst und mit ihm viel Gold auf weißem Hintergrund.
Bald geht’s wieder ans Meer. Malediven, das Taucherherz forderte Großfisch. Ich war schon da, mehrfach. Die Karte wird also rubbellos bleiben nach der Rückkehr. Vielleicht lese ich mal ein bisschen über Usbekistan.