Über dem Bällebad der Liebe hängt ein Elefantenkopf aus Plastik mit überlangem Rüssel und mächtigen Stoßzähnen; mehr Phallussymbolik über einer Badewanne voller Plastikbällchen ist gar nicht möglich, und vermutlich war sie von denen, die dieses Zimmer einrichteten, auch noch ernst gemeint.
Es scheint das Afrikazimmer zu sein, in dem zwei Zwanzigjährige in Skinny Jeans und Nike Air ins Bällebad steigen und sich mit dem Handy fotografieren lassen. Ein Freundinnenfoto aus dem Puff, das hat nicht jeder in seiner Timeline. „Boah, wer weiß, was die hier drin gemacht haben“, sagt die eine. „Früher waren hier ja wohl keine Bälle drin, das ist doch eine Badewanne“, entgegnet die andere, und man muss grinsen angesichts dieser Naivität, reicht das Fotohandy zurück und rät den beiden, sich hinterher gut die Finger zu waschen, mit denen sie gerade in den Bällen wühlen.
Man muss nicht auf andere Kontinente fliegen, um in einer anderen Welt zu landen. Es reicht, zur Rethelstraße zu radeln.
Die drei Häuser Nummer 73 bis 77, einst Düsseldorfs bekannteste Rotlichtecke unter Fuchtel der lokalen Größe Bert Wollersheim, werden leergeräumt. Alles muss raus, vom Aschenbecher mit dem roten „R“ bis zu getragenen (!) Bademänteln und plattgesessenen Kissen. Der Andrang ist groß, jeden Donnerstag darf der Nachlass der Lust besichtigt werden; doch die meisten schieben sich nicht wegen der abgenutzten Möbel oder der billigen Dekoware über den Teppich, sondern allein, um es bestaunt zu haben, dieses Etablissement der Käuflichkeit.
Einmal einen Puff betreten. Einmal Rotlichtluft schnuppern, die abgestanden riecht, nach zu vielen Körpern in zu engen Räumen. Vor den wenigen Fenstern sind sämtliche Rollläden heruntergelassen, es ist duster und vollgestellt, alles eng und verwinkelt.
Die Türrahmen sind mit goldenem Paillettenstoff umwickelt, Pappmaché-Herzen hängen von den Decken, an die Wände wurden Herzlampen aus Plastik genagelt, um dort, wo es allein um Körper geht, eine Illusion von Liebe zu schaffen.
Alles ist vollgestellt, Bilder in unterschiedlichen Rahmen dicht an dicht verdecken Strukturtapeten und Schlimmeres, nichts passt zueinander, allein der Kitsch eint. Je nach Zimmerthema stehen ein menschengroßer Holzpenis oder geschnitzte Holzmasken neben Badewannen, in die immer mindestens zwei Personen passen, hängen Indianergesichter und Tierbilder an den Wänden.
In einem Zimmer baumelt eine kleine Strohpuppe von der Decke, sie könnte aus dem Dekobedarf der Landfrauenvereinigung stammen. Es wirkt, als habe jemand einfach alles, was er an Kitsch und Unerträglichem finden konnte, in den Häusern Rethelstraße 73 – 77 verteilt, um eine Kulisse des schlechten Geschmacks zu schaffen. Ein Meisterstück.
Die Tapeten sind schmutzig, bereits verkaufte Bilder haben hellere Flächen hinterlassen, und die Zimmer wirken so, wie man sich Bordellzimmer aus der Ferne vorgestellt hatte, klischeehaft schmuddelig und verplüscht, viel Rot, viel Tigerfell, Lichterketten, Kunstblumen; an einigen Badewannen – eine davon pinkglitzernd in Herzform – sind die Silikonränder siffig; falls dieses Haus irgendwann mal gute Jahre gehabt haben sollte, sind sie lange vorbei. Renovierungsbedürftig wäre wohl das, was Makler sagen würden.
Im Zimmer mit dem Bällebad ist auch das Bett zu verkaufen, und wie in allen Mottozimmern, für die das Bordell so berühmt war, hat es eine außergewöhnliche Form. 50 Euro soll es kosten, das Kunstleder der Matratzen wirft Falten. „Gut eingelegen“, sagt eine Frau und lacht laut. Ob da wohl immer die Laken gewechselt wurden; ganz praktisch denkt man über die schwer erhältliche und vermutlich nur als Einzelanfertigung zu erstehende Lakenform nach, schnell gewechselt ist da nix. Doch die Frau guckt ernst und sagt: „Hier war immer alles sauber.“ Dann schiebt sie nach: „Also, wir haben hier nicht gearbeitet, wir waren Taxifahrerinnen.“ Sie ist zusammen mit einer früheren Kollegin gekommen, um Erinnerungsstücke zu kaufen. Oft habe sie auf die Kunden gewartet, mit den Damen des Hauses geplaudert. „Wir haben dann einen Kaffee getrunken, bis die bezahlt hatten.“ Die Rethelstraße war beliebtes Fahrtziel. „Für uns gab es dann immer Kopfgeld“, sagt eine der beiden Frauen. „Sie meinen Provision?“ Sie nickt. „Bei uns hieß das Kopfgeld.“
In den vielleicht verruchtesten Bereich führt eine steile Kellertreppe hinunter, vorbei an einer Art Waschküche mit sehr alten Waschmaschinen. Auch die stehen zum Verkauf. In einem Raum gibt es Spinde, abgenutzt, 40 Euro. „Spinde?“, fragt eine Frau irritiert, vergessend, dass sich die an der Rethelstraße arbeitenden Damen irgendwo ihrer Tageskleidung entledigen mussten. Viele der Schaulustigen sind Frauen, wollen sehen, was sie sonst nie hätten betreten dürfen. Aber auch ganze Familien mit Kindern laufen mit einer Selbstverständlichkeit durch den Puff mit seinen skurrilen Arbeitszimmern als besuchten sie ein Naturkundemuseum.
Am Ende des Kellers führt eine steile Treppe wieder hinauf, vermutlich ist man nun im Nachbarhaus angekommen. Der SM-Bereich. Eine Art überdimensionaler Vogelkäfig und eine Holzpritsche werden angeboten. Hinter einer Theke steht ein junger Typ, die braunen Locken zum Zopf gebunden, und spielt mit solcher Hingabe auf einem fürchterlich verstimmten Klavier, dass die Situation eine gewisse Puffromantik bietet; man möchte sich hinsetzen in diesen schummrigen Raum, wenn man sich nicht so vor den verranzten bezogenen Sitzbänken ekeln würde, und ihm zuhören. Dass sich andere Menschen in dem Zimmer aufhalten, interessiert den Mann nicht, er spielt einfach nur, völlig selbstvergessen unter einer roten Lichterkette, Klassik, und guckt erst auf, als die Tür ein weiteres Mal aufgeht und großes Gejohle losbricht, weil ihn seine Freunde ausgerechnet im SM-Raum entdeckt haben.
In staubigen Vitrinen werden Gummigenitalien amtlichen Ausmaßes angeboten, alles muss raus, was vorher drin war. Die Taxifahrerinnen haben Interesse an einem schwarzen Bild mit rot erleuchtetem Rethel-R und sternenartig aufblinkenden LEDs, müssen die Devotionalie jedoch stehen lassen, ausgerechnet dieses Werk ist nicht verkäuflich.
Nach einer halben Stunde Bordell-Besichtigung zieht es hinaus, ins Licht, durchatmen. Andenken sollen die anderen kaufen, die angeschlagenen Spiegel heraustragen, alte Sektgläser und Krawatten. Die Idee, einen Rethelstraßen-Aschenbecher als albernes Mitbringsel für die nächste Party zu erwerben, ist verworfen, zu traurig ist dieser Nachlass der Lust, zu fies die Vorstellung, etwas davon anfassen zu müssen.
Ich radle stattdessen zum Schauspielhaus und kaufe Karten für Romeo und Julia. Liebe ist das, was am Ende tot ist.