Am Kap der drei Fürchterlichen, das eigentlich Cap des trois Fourches heißt und im Nordosten Marokkos wie eine Nase ins Mittelmeer ragt, leben die grinsenden Zwei. Es handelt sich dabei um zwei freundliche Mischlingshunde, die sich freudig aus dem schmalen Schattenstreifen vor einer Mauer erheben, um den unerwarteten Besuch, der da aus seinem Mietwagen steigt, interessiert zu begrüßen. Sie grinsen wirklich, diese beiden Hunde, die noch welpenhaft-weißen Zähne zum Willkommenslachen gebleckt.
Es ist windig am Kap der drei Fürchterlichen, an dem das Land einfach mal eben so zu Ende ist. Die schmale Serpentinenstraße, die sich Kurve um Kurve zwischen steil aufsteigender Felswand an der Fahrer- und ebenso steil abfallender Felswand an der Beifahrerseite bis zu einer Art Leuchtturm-Festung windet, den Mietwagenfahrer immer hoffen lassend, dass es bitte und auf gar keinen Fall irgendeine Art von Gegenverkehr geben möge, hört vor einer Mauer auf, die mit einem Zeichen bepinselt ist, das den Besuchern signalisiert: umdrehen, zurückfahren. Ab hier wird’s privat. So viel Privates kann es am Kap der drei Fürchterlichen allerdings gar nicht geben, denn an der Mauer führt zwar eine Steinstiege hoch zum Gebäude, aber sonst gibt es dort wirklich nichts außer Felsen, blauem Mittelmeer und einer Landschaft, die bewundert werden will.
Etwas unheimlich ist das Ganze schon. Mitten im Nichts, vielleicht eine Stunde Kurvenfahrt vom nächsten Ort entfernt, steht diese Leuchtturm-Festung in karger Natur. Nicht, dass hier nichts ist, macht es ein wenig gruselig, sondern die Tatsache, dass im Wind wehende Wäsche an dem Gebäude zu erspähen ist, aber weit und breit nichts Lebendiges außer der grinsenden Zwei. Erst auf dem Rückweg kommt an einer Stelle, die immerhin Gegenverkehr zulässt, ein alter Mercedes entgegen, darin schemenhaft zu erkennen drei Männer, vermutlich die Hosen- und Hemdenbesitzer, die Besucher mit aufgemalten Zeichen von ihrem Grund abhalten. Die drei Fürchterlichen.
Die östliche Mittelmeerküste Marokkos ist das, was gemeinhin als ursprünglich beschrieben wird. Der Tourismus beschränkt sich auf Orte am kilometerlangen Sandstrand, und auch die sind vor allem bei Einheimischen oder bei Marokkanern, die mittlerweile in anderen Ländern leben, aber in den Sommermonaten nach Hause kommen, bekannt. Nicht aber bei Deutschen, die mit Marokko die Königsstädte verbinden, die Atlantikküste und die Sahara. All das ist ganz weit weg hier im Osten des Landes zwischen Nador und Oujda, direkt an der Grenze zu Algerien, die durch einen hohen Stacheldrahtzaun gesichert ist, der sich wie ein borstiger Metallwurm durchs Land zieht.
Auf dem Rückweg springt in einem winzigen Ort, dessen paar Häuschen sich an die Felsen schmiegen, ein Opi vors Auto. Auch er grinst, zahnlos allerdings, und bittet die Durchreisenden auf Spanisch zum Kaffee in seinen Mini-Supermarkt, der nichts anderes ist als eine Art Schuppen, in dem er Angelköder, Kekse und Fisch verkauft. Zwei Jungen drücken sich ein wenig verschämt in dem Raum herum, „Rubia“ sagt einer, „Blond“. Der Opi erzählt, dass er Fischer in der spanischen Enklave Melilla war, dass sein Sohn nun fischt und dass es sich bei den Kindern um Enkel handelt. Er zieht frisch frittierten Fisch auf einem silbernen Tablett hervor, ruft seiner Frau über die Straße zu, dass sie die Gäste mit Minztee bewirten solle, den wenig später die beiden Jungs anschleppen. Selbstgebackenes Fladenbrot wird gereicht, aus einer Plastikkaraffe schüttet er Olivenöl auf einen Teller, damit die Gäste das Brot dippen können und den bereits vor ihnen zerfledderten Fisch mit den Fingern weiter zerlegen und verköstigen. Der Mann erzählt, zeigt seinen Fischerausweis, berichtet, dass er in Frankfurt und Bodenheim und irgendeiner unverständlich ausgesprochenen Stadt mit „Sankt“ gewesen ist, den Winter in Deutschland aber zu kalt fand.
Die Besucher lädt er ein, im Winter wiederzukommen und länger zu bleiben, diese Eiseskälte in der Heimat sei ja nun wirklich nicht auszuhalten, das könne er verstehen. Es ist ein Mensch, dessen Augen fast mehr lachen als der zahnlose Mund. Irgendwann, nach vielen übersüßen Gläsern Minztee, ist Zeit für den Aufbruch. Und dann springt der Mietwagen nicht mehr an, röchelt und rödelt und knattert, aber bewegt sich keinen Zentimeter. „Battería“ rufen die Kinder. Und „Mecanico!“. Dann ertappt sich die Fahrerin bei einem unschönen Gedanken. Manipulation? Die ganze Gastfreundschaft nur vorgetäuscht? Das schlechte Gewissen wird groß, als der alte Mann mit den Kindern das Auto anschieben will und irgendwann in einem 80er-Jahre-Mercedes – dem Standardfahrzeug der Region – vorbeirauschende Nachbarn anhält, damit sie einen Blick auf den Motor werfen. Der dann, ohne dass irgendjemand irgendwas getan hätte, plötzlich wieder anspringt. Angehalten wird auf der Rückfahrt nicht mehr. Sich an der unbefestigten Klippenstraße anschieben lassen zu müssen, ist kein schöner Gedanke.
Die Menschen sind wunderbar freundlich. Keiner guckt die ganz offensichtlich Fremden an, keiner will verkaufen, keiner ist unhöflich. In der Medina von Oujda, dem überfüllten Markt, auf dem von Schnecken, die als Delikatesse gelten, über Schildkröten, die als Haustiere verkauft werden, und Igel, die wiederum als Delikatesse gelten, alles angeboten wird, können die Besucher in aller Ruhe die Waren anschauen, ohne auch nur einmal angesprochen zu werden. Als der Mietwagen vor der Rückgabe an einer Tankstelle gewaschen werden soll, stellt der Besitzer extra Stühle in die Sonne, damit die Wartezeit – die sich aufgrund großer Lässigkeit auf etwa eine Stunde ausdehnt – entspannt überbrücken lässt. Schön, dieses unbekannte Marokko.
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