Morgen werde ich Muskelkater haben. In den Schultern und den Oberarmen. Ich saß, zwei Jahre nach Thailand, wieder mehrere Stunden auf einem Motorroller. Ich habe mir heute nämlich libur verordnet – frei. Zum ersten Mal seit knapp acht Wochen. Und damit ich mich auch wirklich frei fühlte, verbrachte ich die Hälfte des Tages außerhalb der gewohnten Umgebung. Um von dort wegzukommen, ist allerdings Motorisiertes nötig, und so schnappte ich mir einen Roller samt zu großem Helm, der bei jeder Kopfbewegung von rechts nach links kippte und mich mitzureißen drohte, und verschwand. „Hati-Hati“, rief man mir angesichts der Tatsache, dass ich den Roller nicht einmal starten konnte, noch sorgenvoll hinterher, das heißt: Vorsicht!
Das wäre nicht nötig gewesen, denn die ersten 500 Meter sind reine Holperpiste, und zwar von einer Art, die einen Sport-BH voraussetzt, wenn man sie mit dem Motorroller hinter sich bringen will. Ich hüpfte also mit dem Roller über die Steine, völlig verkrampft in den Armen, und atmete auf, als die große Straße in Sicht war.
Groß ist hier allerdings relativ; es handelt sich um eine simple Straße, immerhin asphaltiert. Meine Mission: Frühstück in dem einzigen wirklichen Café der Region einnehmen. Das klingt locker und machbar, allerdings ist das Schwierige daran, das Café überhaupt erst einmal zu finden. Es sieht wirklich alles gleich aus hier, Schilder gibt es eher wenige, und die Suche bei Google Maps brachte zwar die Info, dass es etwa zwölf Meilen entfernt liegt; aber da weder Kilometerzähler noch Tacho des Rollers funktionieren, half das auch nicht weiter.
Dass die Tachonadel stillsteht, förderte aber mein Sicherheitsempfinden: Es fährt sich definitiv entspannter so ganz ohne Geschwindigkeitsangabe. Die Bilder von fiesen Schürfwunden unter der kurzen Hose, aufgeschrappten Armen und ausgeschlagenen Schneidezähnen verblassen, wenn man nicht weiß, ob man mit Tempo 30 oder 60 unterwegs ist. Da zockelte ich also mit irgendwas zwischen 30 (vermutlich am Anfang eher realistisch) und 60 (am Ende definitiv) in Richtung Pemuteran und war schwer beschäftigt: 1. Auf die Straße achten. 2. Auf die anderen achten. 3. Den Motorroller unter Kontrolle halten. 4. Das Café suchen. Überraschenderweise klappte alles recht problemlos, und so nahm ich einen echten Milchkaffee samt Kuchen in netter Umgebung ein. Den Kuchen teilte ich großzügig mit den Ameisen auf dem Tisch, den Kaffee hatte ich immerhin für mich alleine. Ein Stündchen später ging es weiter; übermütig geworden, beschloss ich, in erster Linie ziellos, in zweiter Linie aber vor allem lässig durch die Gegend zu cruisen – soweit ich, völlig verkrampft sitzend, überhaupt ansatzweise lässig wirkte: Der schwere Helm drückte auf den Kopf und diesen in den Nacken, wo er sich an die verspannten Muskelstränge der hochgezogenen Schulterblätter schmiegen konnte. Was soll ich sagen: Ein paar Kilometer später saß ich deutlich lockerer und grinste. Der warme Wind zerrte an meinem dünnen T-Shirt, das mir um den Körper flatterte und das mich von den Einheimischen unterscheidet, sich aus bräunevermeidenden Gründen vorzugsweise langärmlig unterwegs sind; ich war nun sicher genug, eine Hand vom Lenker zu heben, um die Sonnenbrille zurechtzuschieben, was ja für mein persönliches Lässigkeits-Wohlgefühl von entscheidender Bedeutung ist, und es fühlte sich richtig gut an, selbstbestimmt und planlos auf der Straße zu sein in einem Land, das fremd ist aber dennoch Zuhause auf Zeit.
Für umgerechnet einen Euro tankte ich den Roller voll – und war dann noch entspannter, als ich auf Indonesisch erklären konnte, was ich wollte. Jetzt könnte man beeindruckt sein, allerdings muss ich an dieser Stelle mein Sprachtalent ein wenig niedermachen: Es ist für Einheimische, die mit einem Stand, an dem nichts anderes als mit Benzin gefüllte Wasserflaschen angeboten werden, auch nicht wirklich schwierig zu verstehen, was denn die kurzbeärmelte Langnase, die da mit einem Roller vor ebendiesem Stand hält, nun will. Ich fuhr ein paar Stunden hin und her, sang dabei vor mich hin – leider hatte ich ausschließlich „Umbrella“ von Rihanna im Ohr, wobei es passenderweise immerhin irgendwann regnete – und genoss es. Auf dem Heimweg sammelte ich noch eines der hier arbeitenden Mädels ein, das ich am Straßenrand entdeckte, und hoppelte – nun also mit Sozia – deutlich sicherer als zu Beginn über die Rumpelpiste zurück. Man fühlt sich in fremden Ländern gleich viel angekommener, wenn man solche Touren macht.
Sehr entspannt, diese erste Tageshälfte, die Einblick in meine sehr leicht zu durchschauenede Psyche gibt: Im Prinzip muss man mir (sollte kein Meer greifbar sein, das hat nämlich denselben Effekt allein durch seine Existenz) nur irgendetwas Fahrbares geben, und ich fühle mich frei. Das hat im Oman mit dem Oyota Ugly bestens funktioniert, in Thailand war es das Moped, und am Niederrhein der CC Beul, den ich allerdings eher als möglichen Fluchthelfer wahrnahm denn als Freiheitsbringer, wobei das eine das andere ja bedingt, und für mein Seelenheil war es wichtig zu wissen, dass der Niederrhein jederzeit hinter mir zurückbleiben konnte – wenn auch nur mit mageren PS-Zahlen.
Den Muskelkater morgen werde ich übrigens genießen.