Die Nacht, in der die Flying Bridge, das Steuerrad am obersten Deck des Bootes, mir gehört, ist sternenklar und nahezu windstill. Fünf Knoten wehe es vielleicht, sagt der Kapitän; und weil es nur fünf Knoten sind, liegt sein sandelholz-vanilliges Parfüm schwer über allem und hat keine Chance, über Bord gepustet zu werden. Moschus ist auch drin, und eine Menge Testosteron vermutlich, gemischt mit salzig-warmer Afrikanachtbrise und der fünften Zigarette binnen einer halben Stunde. Das Meer hat mich wieder, genau genommen habe aber ich das Meer wieder, das so fehlt im Leben.
Geplant war, sich die Navigation bei Nacht erklären zu lassen; wie das wohl funktioniert auf einer Außenbrücke, deren Instrumente bis auf Kompass und Steuerrad vom Salzwasser zerfressen und nicht mehr funktionstüchtig sind. Daraus werden zweieinhalb Stunden selbstgesteuerter Überfahrt und ein leichter Muskelkater, der sich am nächsten Tag langsam den Trizeps hocharbeitet.
Die Straße von Bab-al-Mandab ist die schmalste Stelle zwischen Rotem Meer und Indischem Ozean; Jemen und Dschibuti (Englisch: Djibouti) trennen dort nur knapp 30 Kilometer. Es geht in dieser Nacht von den Seven Brothers in den Golf von Tadjourah, und das Kommando habe ich übernommen: Pirate Captain Corinna took over the Captain’s seat. Der echte Kapitän steht allerdings immer in der Nähe oder lässt mich kurzzeitig von einem seiner Seeleute bewachen, so dass das Schiff auf Kurs bleibt.
Man stellt sich das als servolkenkungsverwöhnter Autofahrer ganz gemütlich vor: Immer mal wieder ein bisschen am hölzernen Steuerrad ruckeln und den Rest der Nacht Sternschnuppen zählen. Ich hingegen verbringe meine erste Kapitänslektion damit, angestrengt den Bug des Bootes konsequent gen Venus – meinen ersten Fixpunkt – zu richten und muss dabei erstaunlich viel am Steuerrad drehen, obwohl sich der Stern ja nicht vom Fleck bewegt. Das Boot aber schon, der Koloss driftet mit den Wellen und der Strömung, nimmt auch das letzte bisschen Flautenwind mit und reagiert verzögert wie ein alternder Elefant, der aus einer Schlammgrube klettern will. Drehe ich das Rad nach links, um den Kurs auszugleichen, bewegt sich das Boot gefühlt erst Minuten später ebenfalls nach links. Bis dahin habe ich allerdings schon wilder gegengedreht, so dass sich die anfängliche Maximal-Fünf-Grad-Korrektur zu gefährlichem Wellenquerstand entwickeln würde, wenn es denn große Wellen gäbe in dieser Nacht. Der Kapitän lacht zwischen zwei Zigarettenzügen, sagt „slowly, slowly“ und guckt dann aufs Handy, während ich wieder zurückkurble, was sich nicht etwa butterweich anfühlt, sondern so, als versuchte man ein Auto eine leichte Steigung hochzuschieben. Alleine. Nach zehn Minuten ziehe ich mein Halstuch aus, nach 15 Minuten den Pulli. Ein Schiff zu steuern sei wie ein Workout, sagt der Kapitän.
Gefühlt kurbele ich in dieser Nacht einen enormen Zack-Zack-Kurs zusammen; aber als der Kapitän von der Flying Bridge verschwindet und einen seiner Hilfskapitäne als Wachmann neben mir abstellt, kontrolliert dieser auf seinem Handy den Kurs – GPS gibt’s auf der Außenbrücke eben nur mobil – und nickt anerkennend. Ich fahre exakt auf der Roten Linie, die die Idealstrecke markiert. Geradeaus zu sein ist eben verdammt anstrengend.
Als sich die Venus ins Meer legt und nicht mehr zum Navigieren taugt, soll ich die Lichter des Örtchens Arta ansteuern, die in der Ferne auf einer Anhöhe glimmen. Es ist stockdunkel, Meer und Land verschwimmen zu einem tiefschwarzen Brei. Triebe ein Schiffbrüchiger vorbei – er wäre nicht zu sehen.
Ganz geradeaus auf Arta zuzufahren, ist dann aber auch nicht richtig. „Then we hit a mountain“, sagt der Captain. „Arta right“, sagt er und wedelt dabei mit einem Arm im Dunkel der Nacht in die Richtung, die er meint und die mich irritiert. Das Ganze stellt sich als englisches Sprachproblem eines Arabers heraus; rechts vorbeisteuern soll ich, nicht die Stadt rechts liegen lassen. Da wäre dann der Berg im Weg.
Andere Boote sind nicht zu sehen in dieser Nacht. Vielleicht haben sie aber auch ihre Positionslichter nicht eingeschaltet und verschwinden in der Dunkelheit. Tagsüber sind immer wieder jemenitische Fischer in klapprigen Holzbooten unterwegs; steuern unsere große Jacht an und bitten um Getränke. Der Kapitän lässt ihnen dann Colaflaschen zuwerfen, zweimal gibt’s auch Diesel, weil der eigene knapp geworden ist. Dass kleine, mit vielen Männern besetzte Boote in Nähe des Golf von Aden am Horn von Afrika auf ein größeres Schiff zurasen, irritiert zunächst: Sind das Fischer oder Piraten? Der Kapitän schaut dann genau hin, hebt die Hände, winkt. Die Männer in den kleinen Booten winken dann zurück und deuten an, was sie wollen. Seeräuber winken anscheinend eher selten, wenn sie sich einem Schiff nähern; zumindest reicht die freundliche Begrüßung aus der Ferne aus, dass alle an Bord von friedlicher Absicht ausgehen.
Piraten, sagt der Kapitän, gebe es nicht zwischen Jemen und Dschibuti. „We are the only pirates here“, sagt er und zeigt dabei auf mich.