Mit den Filtern nach oben stehen die Zigaretten in einem durchsichtigen Plastikbecher zwischen Süßigkeiten und Flaschen und wirken dabei wie zu kurze, dicke weiße Salzstangen. Ein Päckchen Streichhölzer steckt auch in dem Becher; das Hochzeitspaar hat es seinen Gästen so angenehm wie möglich gemacht und nicht nur für Zigaretten, sondern auch für Feuer gesorgt. Wenn ohnehin schon überall auf Bali Räucherstäbchen qualmen, warum dann nicht auch die zur Feier Geladenen. Es gibt auch einen Becher mit Plastikzahnstochern, der allerdings neben den Süßigkeiten in Neonfarben und den Kunstblumengestecken ein wenig untergeht.
Von der Decke des zeltartigen Gebildes, in dem die Party stattfindet, baumeln Sterne aus Aluminium, so stellt man sich Weihnachtsdeko in einem russischen Supermarkt vor. Mit lilafarbenen Stoffbahnen sind Bereiche abgegrenzt, die wie einzelne Räume wirken. Die Gäste sitzen auf schmalen Holzbänken an langen Tischen, die wie stabilere Festzeltgarnituren aussehen. Kinder springen dazwischen herum, und immer wieder streichen verschiedene Hunde um die Beine der Besucher.
Das ist also eine Hochzeitsparty in Pemuteran, einem Straßendorf im Nordwesten Balis. Am Abend vor der hinduistischen Zeremonie sind Freunde, Verwandte und Kollegen geladen. Sie sitzen in dem Zelt, das eigentlich kein Zelt ist, sondern ein Stoffbahn-Gebilde und trinken übersüßten Fertigtee aus kleinen Glasflaschen, die in Gruppen auf den Tischen stehen. Alle Flaschen haben schon einen Strohhalm stecken, allerdings wurden die Kronkorken nicht abgemacht, sondern durchbohrt – die Löcher sind genau so groß, dass ein Strohhalm passt. Es gibt auch Wasser, das wird in Plastikbechern serviert, bei denen man wie bei einem Jogurt einen aufgeklebten Plastikdeckel abziehen muss. In einem Stoffbahnraum ist das Essen angerichtet, eine große Schüssel Reis steht dort; es gibt glibberig aussehendes Schweinefleisch, Gemüse und Obst. Statt Tellern nehmen die Gäste kleine Körbchen, die mit einem fettabweisenden beschichteten braunen Papier ausgelegt werden. Das Essen nehmen die Gäste nicht mit zurück zum Bierzeltgarnituren-Abteil, sondern sie setzen sich auf rote Plastikstühle, die eng nebeneinander und in mehreren Reihen mit Blick auf das Büffett aufgebaut sind und an Kino erinnern.
Braut und Bräutigam sitzen derweil auf Plastikstühlen vor dem Eingang. Er raucht, sie trägt schwer an ihrem festlich aufgesteckten Kunsthaar. Beide sind Anfang 20, das Alter ist schwer zu schätzen unter der Schminke, die die Gesichter heller macht und sich in der Hitze selbst in kleinste Fältchen gräbt. Sie hat künstliche Wimpern angeklebt und viele Glitzerspängchen in den Haaren. Ihr Brautkleid, eine Art modernere und knallige Version der hinduistischen Tracht, ist Lila, Blau, Grün, Pink. Sie sieht aus wie eine kindliche Prinzessin in einem Zeichentrickfilm. Nach der Farbbearbeitung. Die beiden stehen auf, wenn Gäste ankommen, begrüßen jeden einzeln. Dann setzen sie sich wieder hin und warten auf die nächsten. Wenn keiner in Sicht ist, gehen sie zu den Gästen, um sofort wieder in Position zu laufen, wenn ein Moped knattert. Praktischerweise kommen fast alle Gäste mit dem Motorroller und sind schon von weitem zu hören. Die Frauen, alle in festlichen Sarungs, bringen Schalen mit, in denen Kaffee, Reis und Zuckertüten liegen – ein klassisches Geschenk für Brautpaare. Hin und wieder wird den Frischvermählten diskret ein Umschlag zugesteckt; auch Geld zu geben, ist üblich. Wobei es allein um die Geste geht: Auf den Umschlägen steht nichts geschrieben, innen befinden sich allein die Scheine. Wer was gibt, weiß also niemand, und das soll auch so sein. Alles andere gilt als Angeberei.
In einem der Stoffbahn-Bereiche steht ein Bett wie in einem Möbelhaus. Auf der Matratze ist ein Plastikbezug, ein paar Kinder lümmeln darauf herum und gähnen. In diesem Bett, das da unter dem Stoffbahn-Zelt platziert ist wie einer der Plastikstühle, werden Braut und Bräutigam am nächsten Morgen liegen und die Zähne gefeilt bekommen, damit das Gute bleibt. Es ist der zweite Teil einer Zeremonie, die als Kind beginnt: Mit dem Abfeilen der Zähne soll das Böse aus dem Körper verschwinden.
Nach knapp einer Stunde verteilt die Braut plötzlich schwarze Plastiktüten an die Gäste. Die Party ist zu Ende, die Besucher bekommen wie bei einem Kindergeburtstag Süßigkeiten mit auf den Weg: Sticky Rice, ein brauner, klebriger Reis, der mit Rohrzucker hergestellt wird und dessen Produktion mehrere Tage dauert; in Bananenblätter eingewickelter Kokosnusszucker, pink gefärbt; und weiß-rosa Kokosnusssplitterkringel.
Nachsatz: Es war das erste Mal seit Wochen, dass die Journalistin in mir durchkam, und zwar so richtig. Alles in mir schrie nach den üblichen Arbeitsutensilien. Ich tastete nach Stift und Block, um aufzuschreiben, was ich da sah. Hatte aber nichts dabei. Eine Reportage schreiben statt des egozentrierten Blogs, bei dem es letztlich einzig um mich selbst geht; beobachten und beschreiben, nah dran sein und alle Details, die eine solche Szene ausmachen, aufsaugen und wiedergeben. Zufrieden bin ich natürlich nicht mit dem Ergebnis, hingepinnt im Bett im Wettlauf mit der Akkudauer des Rechners. Es fehlt an Hintergrundinfos, die keiner vor Ort in passablem Englisch geben konnte, es gibt keine Zitate, und generell bin ich ja selten bei der ersten unmittelbaren Lesung zufrieden mit meinen Texten. Aber dennoch: Musste sein, irgendwie.