Man nehme: Eine Person, die im Meer bei 26 Grad trotz Sieben-Millimeter-Neoprenanzugs friert und bei irgendwelchen Draußen-Rumsitzaktivitäten diejenige ist, die schon dann die Hoodie-Kapuze aufsetzt, wenn alle anderen noch an ihren Tanktops zuppeln (mich), bringe sie auf eine Insel, auf der die aktuelle Lufttemperatur unter fünf Grad liegt (Island) und lasse sie dort zu Wasser (drei Grad). Ergebnis: ein zitterndes Etwas grinsender Glückseligkeit (wieder ich).
Ich war tauchen. Im Trocki. Auf Island. In der Silfra-Spalte, jenem Ort, an dem nordamerikanische und eurasische Kontinentalplatten die Trennung beschlossen haben und sich jährlich immer mehr voneinander entfernen. Zwei Zentimeter sollen sie innerhalb von zwölf Monaten auseinanderdriften, und der imaginäre Keil, den sie zwischen sich treiben, füllt sich freundlicherweise mit kristallklarem Gletscherwasser – auch wenn das Bild eines sich füllenden Keils vollkommen schief ist. Felsspalterei, über die zu schreiben es sich lohnt. Denn: Ich hasse Kaltwassertaucherei. Aber auf Island musste ich rein, es ist einer dieser taucherischen Bucket-List-Orte, und wenn man schon mal da ist, dann darf man das nicht verpassen.
Selten so aufgeregt gewesen vor einem Tauchgang; diese positive Nervosität, die im Bauch kribbelt und die Herzgegend ein bisschen flatterig macht: Date mit einem Unbekanntem. Kaltwasser und ich sind ja nun wirklich keine Buddys.
Silfra selbst dann ein Faszinosum: Das Wasser ist irgendwie kälter blau als anderswo, in verschiedenen Nuancen; es ist, als sei man selbst ein winziger Tetrisstein, der zwischen bereits festgesetzten Wänden (vermutlich ausschließlich gebaut aus diesen langen oder den L-förmigen Dingern) seinen Platz finden muss. Das Gute: Die Lücke schließt sich nicht, man taucht einfach nur durch, an gigantischen Steilwänden links und rechts entlang, die aus Felsbrocken bestehen, die hinabfallen könnten, wenn die Natur sich zu einem Erdbeben entschließen sollte. Immer getragen von einer sanften Strömung, immer nach vorne blickend, weil es auch kaum anders geht in dieser Spalte, die an einigen Stellen so eng ist, dass man mit linker Hand die eurasische und mit rechter Hand die nordamerikanische Seite berühren kann.
Leben gibt es hingegen kaum in der Silfra-Spalte, es geht allein um die imposante Unterwasserlandschaft und um das Wissen, an einem erdgeschichtlich sehr bedeutenden Ort zu sein. Man ist winzig zwischen den Kontinenten, aber irgendwie hatte man das auch erwartet. Die Kälte macht nicht so klein wie die Macht der Steine.
Am Ende, nach knapp einer halben Stunde, gibt es beim Auftauchen einen fiesen Brainfreeze: In der etwas zu großen Kopfhaube hat sich während des Tauchgangs Wasser gesammelt. Als der Kopf nicht mehr unter Wasser ist, sondern luftumwirbelt wird, brennt, pocht, schmerzt er wie wild. Irgendwann lässt das nach, und irgendwann fühlt man auch wieder seine Zeigefinger, die ein wenig abgefroren erscheinen. Und von isländischer Frühlingssonne angetaut zu werden, während man im Trocki auf einem Parkplatz rumhüpft, um dem Ganzen ein wenig – höhö – auf die Sprünge zu helfen, macht das Tauchen in Silfra noch außergewöhnlicher als das an anderen Orten.