Es war nicht die eine Riesenwelle, die das Leben von Jenny Krapohl und Ulf Mayer veränderte. Das Wasser schwappte vielmehr in Schüben in ihr Tauchcenter, das die beiden Essener ein halbes Jahr zuvor auf der Insel Koh Racha Yai in Thailand eröffnet hatten, und spülte den Traum weg, den sie im Ausland leben wollten. Im Interview berichten die beiden, die damals als Tauchlehrer arbeiteten, wie sie den Tsunami am 26. Dezember 2004 erlebt haben.
Wo wart Ihr, als die Welle kam?
Jenny Wir waren im Tauchcenter und haben den ersten Tauchgang vorbereitet. Auf einmal kam eine Frau reingelaufen und schrie nur „My son, my son.“ Wir haben gar nicht verstanden, was sie wollte, und ich habe versucht, sie zu beruhigen. Als klar war, dass draußen irgendetwas los war, sind wir vor die Tür gegangen.
Und habt dort was gesehen?
Jenny Das Meer war weit zurück. Es kam aber immer wieder, in Pendelbewegungen. Das ging dann mehrere Male so.
Ulf Mit jedem Schwung wurde es heftiger und das Wasser drang weiter ins Land hinein. In unserer Tauchbasis war nach ein paar Wellen der Boden überschwemmt. Ich habe dann gesagt, dass ich unsere Unterlagen auf einen Schrank lege, damit sie nicht beschädigt werden. Wir hatten ja keine Ahnung, was da vor sich ging.
Hat Euch die Situation Angst gemacht?
Ulf Nein, überhaupt nicht. Kurz vorher war Vollmond, ich dachte, dass es damit zusammenhängt. Wir fanden es zwar komisch, aber eher faszinierend als besorgniserregend. An einen Tsunami hat keiner gedacht.
Jenny Ich habe extra noch meine Kamera geholt, um das Ganze zu fotografieren. Ulf hat in Ruhe in der Basis die Papiere sortiert. Bis sich dann eine große Welle aufgebaut hat. Und dann war klar: Hier stimmt was nicht. Als ich gesehen habe, wie dieses Wassermassen auf die Insel zukamen, hatte ich Todesangst, weil ich dachte, dass Ulf noch im Gebäude ist. Ich selbst war draußen und mit Gästen und Hotelangestellten auf eine Anhöhe gelaufen. Ich hatte noch nie so viel Angst wie damals.
Ulf Als das Wasser in die Basis drückte, wusste ich, dass ich da raus muss. Ich bin dann nach hinten, musste da noch ein Rolltor hochschieben, und bin auf einen etwa drei Meter hohen Anbau geklettert. Das war mein Glück. Selbst da wurden meine Füße überspült. Als sich auch die Welle zurückzog, bin ich mit den anderen auf den Hügel gerannt, der am Rande der Bucht war.
Hattest Du Angst?
Ulf Für Todesangst war keine Zeit. Ich musste sehen, dass ich da wegkomme. Lustigerweise habe ich mir noch meinen Padi-Rucksack geschnappt. Darin waren unsere Pässe und Kreditkarten. Und mein Tauchlehrer-Manual. Wir sind dann barfuß auf den Hügel hoch. Einheimische waren dabei, die das Unterholz weggeschlagen haben, sonst hätten wir es gar nicht dort hochgeschafft, es war dort richtiger Dschungel.
Konntet Ihr sehen, was unten in der Bucht, in der Euer Tauchcenter stand, vor sich ging?
Ulf Nein, wir waren dort abgeschnitten, sahen nur einen Teil, konnten aber nicht das Ausmaß einschätzen. Mit uns sind etwa 30 andere Menschen auf den Berg geflüchtet. Eine Frau war Diabetikerin, die sorgte sich die ganze Zeit um ihre Medikamente. Eine andere nervte, dass sie die Insekten stören. Das war unglaublich. Wir hatten gerade unser Leben gerettet, und die jammerte über Mücken.
Hattet Ihr Sorge, dass Euch auch auf dem Berg etwas passieren könnte?
Ulf Mir war klar, dass ohnehin alles vorbei wäre, wenn eine Welle so groß ist, dass sie uns selbst auf dem Hügel erreicht. Da wir nicht wussten, was genau passiert ist und ob noch etwas folgt, sind wir die ganze Nacht auf dem Berg geblieben. Erst am nächsten Morgen haben wir dann unten das ganze Ausmaß gesehen.
Könnt Ihr das beschreiben?
Jenny Es sah aus wie im Krieg. Die ganze Hotelanlage war zerstört, von unserem Tauchcenter standen nur noch die Mauern. Zum Glück gab es auf unserer kleinen Insel aber nicht viele Opfer. Wir haben kein Toten am Strand gesehen – allerdings später im Wasser treibend, als wir drei Tage nach dem Tsunami aufs Festland gefahren sind.
Seid Ihr nach dem Tsunami in Thailand geblieben?
Ulf Ich wollte unbedingt bleiben und habe auch schon im Februar wieder geholfen, Tauchlehrer auszubilden. Bis dahin haben wir die Aufräumarbeiten unterstützt, bei Korallen-Ansiedelungs-Projekten mitgewirkt und versucht, so normal wie möglich zu leben. Es ist beeindruckend gewesen, wie schnell die Thais alles wiederaufgebaut haben. Sie haben nicht lange geklagt, sondern dafür gesorgt, dass es weiterging.
Jenny Mich hat das Erlebte mehr beeindruckt, als mir bewusst war. Nach einem Jahr war mir klar, dass ich dort nicht mehr leben kann. Ich bin zurück nach Deutschland gegangen.
Und Ulf hat in Thailand eine neue Tauchschule aufgebaut.
Ulf Genau. 2007 habe ich die dann aber verkauft und bin zu Jenny nach Deutschland geflogen. Wir sind inzwischen beide wieder selbstständig, Jenny als Persönlichkeitscoach und Autorin und ich als Geschäftsführer eines Weiterbildungsinstituts. Und ich unterrichte in Essen angehende Tauchlehrer.
Du bist dem Meer also auch nach dieser Erfahrung treu geblieben?
Ulf Ich hatte nie Angst vor dem Meer. Daran hat auch der Tsunami nichts geändert. Aber eine Hütte am Strand oder einen Wasserbungalow würde ich im Urlaub nicht beziehen. Damit kann man mich jagen! Zum Tauchen ist das Meer toll – direkt daran wohnen kann ich nach den Tsunami-Erlebnissen aber nicht mehr.
Hat sich durch den Tsunami Euer Leben verändert?
Ulf Ja. Vor zehn Jahren mussten wir in kurzer Zeit zwei Mal neu anfangen. Wir wanderten aus und fingen mit einem – scheinbar – sicheren Job und einem neuen Zuhause auf der Insel an. Dann kam der Tsunami. Wir verloren den Job und das Zuhause und mussten wieder von vorne starten. Auch durch diese Erfahrung weiß ich, was ich alles schaffen kann. Ich bin viel gelassener geworden.
Jenny Mir ist nach dem Tsunami klar geworden, wie kostbar das Leben in jeder Minute ist. Ich lebe heute sehr bewusst und bin glücklich mit meinem Leben. Das fließt in meine Arbeit als Coach und Autorin ein. Ich helfe Menschen dabei, sich ihres Glücks bewusst zu werden und ihren Weg zu finden (www.wegeinsglueck.de).
Ulf Mayer (47) ist PADI Course Director (www.top-idc.de). Von 2004 bis 2007 lebte er in Thailand. Er wohnt heute mit seiner Frau Jenny Krapohl (40), den beiden Kindern (drei und sechs Jahre alt) und Hund Münte in Essen.