Mannshohe Gräser streifen das Gesicht und hinterlassen kleine kühle Tautropfen auf den Wangen. Allein ihre Temperatur unterscheidet sie von den Schweißperlen. Der Weg, den die Gräser säumen, ist so schmal, dass die Wanderer hintereinander gehen müssen und in der Dunkelheit nur erkennen können, was der Lichtkegel ihrer Taschenlampen zu erhellen vermag.
Wer sich traut, kurz den Blick vom Boden abzuwenden, wo er Geröll und schwarzen Lavasand anleuchtet, immer bedacht, nicht zu stolpern, der sieht über sich Millionen von Sternen, glasklar. Bis auf das Zirpen von Grillen und der Schritte der Wanderer ist es still, die Luft ist feucht und klar.
Irgendwo vorne, dort, wo der Schein der Plastiktaschenlampe nicht hinreicht, liegt er, der Vulkan Batur. 1.171 Meter hoch, immer noch aktiv, zuletzt im Jahr 2000.
Eine Touristin kam damals ums Leben, sie stürzte in den Krater und verbrannte. Seitdem sind Besteigungen des Batur nur mit Guide erlaubt, und so marschiert auch in dieser Nacht ein jungenhafter Mann voran, die Füße in ausgeblichenen gefälschten Chucks, die mal rot gewesen sein könnten oder rosa, so genau ist das in der Dunkelheit nicht zu auszumachen. Er hat eine Schiebermütze auf und eine Jacke an. Die Nacht ist frisch in den Bergen.
Es ist 3 Uhr nachts, als die Gruppe aufbricht. Recht schnell geht sie los, Füße sinken in Sand, der Weg ist uneben, aber leicht zu begehen. Man unterhält sich, lacht, ist gespannt. Es fühlt sich an wie eine Nachtwanderung für Erwachsene. Nach 20 Minuten wird er steiler, Steine werden zu Brocken und Brocken werden zu Felsen, über die die Wanderer klettern müssen. Jeder leuchtet sich selbst seinen Weg, starrt konzentriert gen Boden, um ja nicht umzuknicken. Schweiß rinnt, sickert ins T-Shirt unter der Jacke, die auszuziehen nicht gut wäre: Es ist windig am Berg, und es geht zügig voran, ohne Pause. Die Gruppe will es so. Irgendwann fordert der Guide, der verdächtig schnauft, eine Pause. Die Jacke müsse er ausziehen, murmelt er. Die Wanderer drängen, sie wollen hoch auf den Batur, den Gipfel sehen und von dort aus die aufgehende Sonne. Inzwischen sind sie eine knappe Stunde unterwegs, haben mehrere andere Gruppen überholt und sehen, wenn sie sich umdrehen, in der Ferne dutzende Leuchtpunkte, die sich langsam den Berg hinaufschlängeln. Es sind die Taschenlampen derer, die sich ebenfalls auf den Weg gemacht haben. Gut 600 Höhenmeter sind zu überwinden, der Guide behauptet, die Strecke sei insgesamt 2000 Meter lang, aber zwei erfahrene Bergwanderer glauben das nicht, sie tippen auf einen deutlich längeren Weg.
Die Strecke wird immer anspruchsvoller, es ist mehr ein Klettern als ein Laufen, die Luft ist frisch, den Wanderern wird dennoch immer heißer. Nach 80 Minuten erreichen sie eine zugige offene Hütte. Die Gruppe ist alleine dort. Sie ist die erste. Dort könne man warten, sagt der Guide und zündet sich eine Zigarette an, froh, die Schnell-Läufer ausbremsen zu können. Man ist durchgeschwitzt, es ist windig. Es soll einen besseren Platz geben, hat einer gehört, und bittet den Guide, die Gruppe dorthin zu bringen. Es geht nur wenige Minuten weiter, dann ist der Platz erreicht: Eine Art Plateau, auf dem wieder offene Hütten stehen. Es ist weniger zugig, und in den Hütten sind die Bänke aus Holz statt aus Stein und damit wärmer. Eine Balinesin bietet Kaffee an, den sie auf Gasbrennern kocht. 25.000 Rupien kostet ein Glas, das sind etwa 1,60 Euro. „Das ist teuer“, sagt eine Wanderin. „Stimmt, hier ist es teuer“, sagt die Balinesin, lächelt und hämmert dabei mit einem Schraubenzieher Löcher in eine Blechdose, in der gesüßte Kondensmilch ist.
Die Gruppe war zu schnell am Berg, jetzt muss sie auf die Sonne warten. Eine gute Stunde wird es dauern, bis das erste Licht die Nacht verscheucht, die sich bis dahin aber alle Mühe gibt, die Wanderer bei Laune zu halten. Der Sternenhimmel ist gigantisch, mit dem Zählen von Sternschnuppen ist nicht nachzukommen.
Gewärmt von klebrig-süßem Kaffee verlassen die Wanderer die Holzbänke und steigen auf einen kleinen Hügel. Von dort aus wollen sie den Sonnenaufgang sehen, allein deshalb sind sie auf den Batur gestiegen. Die Schwärze der Nacht wird durch einen erst bläulichen Streifen am Horizont aufgeweicht. Zum Blau gesellt sich Orange, der Himmel scheint zu glühen; er wird stufenweise gelblich, ohne dass man einzelne Schritte erkennen könnte. Wie Milch in Kaffee gegossen wird und diesen aufhellt, rührt sich die Sonne in die Nacht. Wolken ziehen vorbei, wie Schattenfiguren, vor dem Glühen des Sonnenaufgangs zeichnen sich in der Ferne scharf die Vulkane der Nachbarinsel Lombok ab.
Die Szenerie ist surreal und beeindruckend; der Himmel schimmert gerade kitschig-blau, als durch die Wolken die ersten Sonnenstrahlen zu erkennen sind – eher orangefarben statt gelblich – und sich die Sonne nach oben drücken will. Die Gruppe verlässt ihren Platz, sie will noch höher hinauf auf den Gipfel des Batur, der Sonne entgegen. Das letzte Stück ist mühsam, es ist sehr steil und besteht auf tiefem Lavasand mit losen Felsbrocken dazwischen. Man schnauft gemeinsam, rutscht immer wieder ab, hofft, bald oben zu sein. Dorthin haben es andere bereits geschafft. Sie sitzen auf Bambusbänken und starren in die Ferne. Einige sind lächerlich touristisch angezogen, schmollende Mädchen frieren in camouflagefarbenen Tanktops und Hotpants, ihre Freunde tragen Muskelshirts und machen Handy-Selfies vor der Sonne. Balinesen verkaufen Frühstück, das aus Bananen, ungetoastetem Toast und gekochten Eiern besteht. Die Eier haben sie in heißen Schwefeldämpfen über Spalten im Lavasand gekocht.
Die Sonne drückt sich rot aus den Wolken und wird zum gelben Ball. Das Schauspiel ist vorbei, der Abstieg kann beginnen. Er führt über denselben Weg wie der Aufstieg, doch die Gruppe braucht länger und ist damit eine der wenigen, bei denen die Hinstrecke schneller geht als der Rückweg. Die Knie tun weg, die Schuhe rutschen auf Sand und losem Gestein, man ist vorsichtig. Wer umknickt am Berg, hat schlechte Karten. Nach gut anderthalb Stunden sind die Wanderer zurück am Ausgangspunkt und reden mit der Euphorie derjenigen, die etwas Besonderes erlebt haben, über den Muskelkater, der sie vermutlich heimsuchen wird. Darüber, dass sie nicht geschlafen haben in der Nacht vor dem Aufstieg und trotzdem nicht müde sind. Und darüber, wie beeindruckend das Ganze war.
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Nachtrag: Ich bin im Stockdunkeln und nach einer schlaflosen Nacht auf einen 1.717 Meter hohen Berg gekraxelt – das ist das einzig passende Verb – und blieb dabei sehr unbeschadet. Um dann am nächsten Abend seitlich im nicht ganz so Stockdunkeln auf einer etwa drei Zentimeter hohen Steinplatte nach links ins Gras abzurutschen und dabei das Außenband schön zu überdehnen. Knöchel dick, kalte Coladose drauf, jetzt ist erstmal Humpeln angesagt.
Man gebe mir Herausforderungen im Leben, die kann ich offenbar besser.